Home-Office next level: die 4-Tage-Woche
In den letzten Monaten sorgt die 4-Tage-Woche in Deutschland für jede Menge Schlagzeilen. Produktiver sollen wir werden, gesünder sowieso – und am Freitag endlich Zeit für Familie und Sport. Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Aber hält die groß beworbene Studie zu Deutschlands 4-Tage-Woche tatsächlich, was sie verspricht? Zeit für einen genauen Blick auf die „wissenschaftlichen Erkenntnisse“.
Was hat die Studie untersucht?
Im Rahmen eines Pilotprojekts testeten 45 ausgewählte Organisationen verschiedenster Branchen für sechs Monate die 4-Tage-Woche – begleitet von Forscher:innen der Universität Münster, dem Boston College, 4 Day Week Global und der Beratungsfirma Intraprenör.
Die Studie wollte wissen: Wie wirkt sich die verkürzte Arbeitszeit auf Produktivität, Wohlbefinden und Arbeitgeberattraktivität aus? Dazu gab es Online-Umfragen, Interviews, Fitness-Tracker und sogar Haaranalysen.
Positives Fazit in den Medien – aber wie solide ist die Forschungsbasis?
Die Ergebnisse lesen sich in den Pressemitteilungen fantastisch: Weniger Stress, mehr Zufriedenheit, stabile Umsätze, bessere Gesundheit, höhere Attraktivität als Arbeitgeber. Aber: Wer genauer hinschaut, erkennt schnell große methodische Schwächen, die leider viel zu selten diskutiert werden.
Stichprobe: Nicht repräsentativ, nicht zufällig
Unternehmen mussten sich freiwillig bewerben. Es ist anzunehmen, dass sich eher motivierte Vorreiter und keine Skeptiker bewerben.
Nur 41 von 45 Firmen führten die 4-Tage-Woche tatsächlich flächendeckend ein. Viele reduzierten gar nicht auf „echte“ vier Tage, sondern auf 4,5 oder nur leicht weniger Arbeitszeit.
Vergleichsgruppe: Ein Schelm, wer hier kritisch denkt
Die „Kontrollgruppe“ bestand meist aus Kolleg:innen in den gleichen Firmen, die NICHT an der 4-Tage-Woche teilnahmen. Klingt fair? Nicht wirklich – natürlich wissen die davon, dass beim Nachbarn ein attraktives Experiment läuft. Das kann das Verhalten und die Antworten stark beeinflussen.
Dauer: Zu kurz
Nur ein halbes Jahr Laufzeit. Für wirklich langzeittaugliche Aussagen zu Motivation, Gesundheit oder wirtschaftlichen Effekten ist die Laufzeit zu kurz.
Interessenkonflikt & Wissenschaftsethik
Die Studie wurde maßgeblich von Intraprenör initiiert – einer Beratungsfirma, die die 4-Tage-Woche aktiv verkauft. Die Bedeutung dieser Aussage sei Ihnen überlassen.
Kein klarer Fokus, keine echte Vergleichbarkeit
Die Unternehmen konnten wählen, wie sie die verkürzte Woche umsetzen. Mal ein ganzer freier Tag, mal nur etwas weniger Stunden, mal alle – mal nur einige Mitarbeitende. Ein bunter Methoden-Mix, aber keine sauberen, vergleichbaren Bedingungen.
Zahlreiche Daten (z. B. zu Umsatz, objektiven Produktivitätskennzahlen) gab es nur von wenigen Organisationen. Verlässliche Aussagen sind hier nichth möglich.
Messmethoden: Viel Subjektivität, wenig Kontrolle
Wer sich auf ein modernes Arbeitszeitmodell freut, bewertet seine Zufriedenheit vermutlich auch positiver. Viele zentrale Ergebnisse sind Selbstauskünfte – und Menschen neigen dazu, sozial erwünscht zu antworten.
Fazit: Medienhype trifft Realität
Natürlich klingen die Schlagzeilen zur 4-Tage-Woche wunderbar. Für die echte betriebliche Praxis und für die Entwicklung von Arbeitszeitmodellen sollten wir den Ergebnissen dieser Studie aber nur mit größter Vorsicht vertrauen. Zu viele “Wenn” und "Aber“ trüben das Bild. Für Unternehmen, die valide Entscheidungen treffen wollen, braucht es robustere Forschung – am besten unabhängig, mit klaren Vergleichsgruppen und längerer Laufzeit.
Was heißt das für Ihr Unternehmen und Ihren Arbeitsalltag?
Bevor Sie jetzt begeistert die Büros am Freitag abschließen, lohnt der kritische Blick: Eine echte, nachhaltige Steigerung von Produktivität und Zufriedenheit braucht mehr als einen Trend. Individuelle Strategien, praxistaugliches Zeitmanagement und maßgeschneiderte Lösungen machen den Unterschied – und nicht die erste schicke Überschrift im Wirtschaftsteil.
Wenn Sie wirklich wissen wollen, wie Sie und Ihre Teams Zeit optimal nutzen, sollten wir sprechen. Denn manchmal bringt nicht der freie Freitag die größten Produktivitätsgewinne, sondern die clevere Nutzung der übrigen vier Tage!
Quellen:
Brackmann, J., Hoch, F., Hüby, J., Platz, M., Sinnemann, M.F. (2024). Die 4-Tage-Woche in Deutschland: Erste Ergebnisse des deutschen Pilotprojekts zur Arbeitszeitreduzierung. Intraprenör.
New Work SE. (29.4.2024). Denken Sie, dass sich die 4-Tage-Woche bei reduzierter Arbeitszeit und vollem Lohnausgleich in den nächsten fünf Jahren in Deutschland durchsetzen kann? Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1480681/umfrage/durchsetzung-der-4-tage-woche/.
Otte, R. (5.12.2023). Vier-Tage-Woche: Test mit 45 Firmen - Ergebnisse sind positiv, aber umstritten. Business Insider. https://www.businessinsider.de/wirtschaft/vier-tage-woche-test-mit-45- firmen-ergebnisse-sind-positiv-aber-umstritten/.
Prössl, C. (8.3.2024). Pilotprojekt in Großbritannien: Kleines Wirtschaftswunder dank Vier-Tage-Woche. Tagesschau. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/grossbritannien-viertagewoche102.html.
Randstad. (2. Juli, 2024). Wie steht Ihr Unternehmen ganz allgemein zu einer 4-Tage-Woche? Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1480715/umfrage/einsatz-der-4-tage-woche-inunternehmen/.